Italien auf Abwegen? (19.10.2022)

Italien auf Abwegen? (19.10.2022)

Der Wahlsieg der rechten Politikerin Giorgia Meloni in Italien wurde besonders hierzulande mit einiger Sorge betrachtet. Wie können wir die Ergebnisse der Parlamentswahl am 25. September in Italien grundsätzlich einordnen? Welche Folgen kann die neue italienische Regierung innen- und außenpolitisch haben? Und was bedeutet sie für die Europäische Union und die Zusammenarbeit innerhalb der NATO? Diese und weitere Fragen zur italienischen Politik haben Moderator Jochen Leyhe und Politikwissenschaftler Siebo Janssen in einem anschaulichen Gesprächsformat diskutiert und beantwortet.

Ausgang der Wahl eigentlich keine Überraschung

Der klare Rechtsruck nach der Wahl war zwar keine Überraschung, betonte Janssen, trotzdem war es auch für ihn schockierend.  Um die neuen Spitzenpolitiker:innen Italiens einzuordnen und verständlich zu machen wie radikal diese sind, stellte er zunächst Vergleiche zu deutschen Parteien auf. Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) könne demnach durchaus mit der NPD verglichen werden, sie kommt aus der Ecke der alten Mussolini-Anhänger:innen. Ihre Bündnispartner sind Silvio Berlusconi (Forza Italia) und der Putin-Sympathisant Matteo Salvini (Lega), der eher mit der AFD verglichen werden könne. Interessant ist laut Jannsen, dass Berlusconi hier jetzt der Moderateste sei.

Wie denken die Italiener:innen über den Ausgang?

Janssen wies auf die niedrigste Wahlbeteiligung überhaupt hin und erklärte, dass Meloni es im Wahlkampf geschafft habe ein relativ weiches Bild von sich selbst zu zeichnen. Sie hat sich klar auf die Seite der Ukraine gestellt, ist aber bekennende Trump-Anhängerin und wirbt für seine Wiederwahl 2024. Außerdem stellte Janssen klar, dass die Italiener:innen ein völlig anderes Verhältnis zum Faschismus haben, als die Deutschen zum Nationalsozialismus. Er erzählte eine Anekdote von einer Reise nach Süditalien: dort hätten beispielsweise die Gullideckel noch immer das Symbol Mussolinis – und das obwohl die Stadt aktuell einen linken Bürgermeister stellt.

Sind die Italiener:innen jetzt ausländerfeindlich geworden?

,,Nein, da würde man ihnen unrecht tun.“ stellte Siebo Janssen klar. Das Problem sei das Dublin-Abkommen in der europäischen Flüchtlingspolitik. Das betrifft natürlich vor allem die südlichen Mitgliedsstaaten wie Spanien, Italien und Griechenland. ,,Da haben wir Südeuropa echt allein gelassen und wir müssen uns überlegen die Flüchtlingspolitik zu ändern.“ Wenn er in die Zukunft blicke, sehe er ein großes Problem. Denn es werden immer mehr Geflüchtete nach Europa kommen, aber immer weniger Regierungen sind bereit sie aufzunehmen, stellte er mit Verweis auf Schweden, Dänemark und nun Italien fest.

Das Wahlverhalten der Italiener:innen

In Südeuropa werde grundsätzlich mit einer anderen Einstellung gewählt, als das in Nordeuropa der Fall ist, wo noch stärkere Wählerbindungen vorherrschen. Die Italiener:innen würden stärker spontan und auch einmal aus Frust heraus wählen. Man habe kein starkes Grundvertrauen in die Politik. Janssen sieht das eher als beruhigend an, weil dadurch auch der Faschismus weniger ideologisch gefestigt sei. Regierungen in Italien halten schließlich im Schnitt 1 ½ Jahre. „Meloni kann deswegen auch schnell wieder weg sein.“

Die Reaktionen aus der EU

Auch für die EU sei der Ausgang der Wahl keine Überraschung gewesen. Man hat in Brüssel entschieden, sich nicht in die nationalen Wahlkämpfe einzumischen, nach der Wahl kam dann eine verhaltene Stellungnahme. „Praktisch weiß man aber, dass Brüssel schon Angst hat.“ Es sei eben etwas Anderes als Ungarn, Schweden oder auch Dänemark, denn Italien hat 60 Mio. Einwohner:innen und ist Gründungsmitglied der Europäischen Union. „Wir müssen davon ausgehen, dass Italien jetzt öfter das Vetorecht wahrnehmen wird.“

Veränderungen in der Außenpolitik

Zum Schluss der Veranstaltung lenkte Moderator Jochen Leyhe das Thema noch in Richtung Außenpolitik. In Bezug auf den Krieg in der Ukraine müsse man sich zwar keine großen Sorgen machen, aber die Bilder der großen Symbolik einer einheitlichen EU seien jetzt vorbei. Meloni sei zwar nicht unbedingt eine Putin-Anhängerin, hat aber jetzt zwei Bündnispartner, die es sind. Leyhe stellte fest, dass Italien immer ein Pfeiler in der NATO gewesen sei, aber was passiere jetzt? Auch dort rechnet Janssen nicht mit gravierenden Problemen. Vor allem wegen Berlusconi müsse man sich keine Sorgen darum machen, Salvini sei zwar kritisch, dafür ist Meloni Pro-NATO. Allerdings werde es auch sehr auf die Beschlüsse des Verteidigungsbündnisses ankommen. Italien werde wahrscheinlich z.B. kritischer mit Auslandseinsätzen umgehen.

Denn auf was man sich in jedem Fall einstellen müsse: In einigen Politikfeldern heiße es nun öfters mal „Italy first!“

 

Text: Sarah Schmitz