„What do we want? Climate Justice! When do we want it? Now!“ Der „Fridays for Future“ Sommerkongress in Dortmund (31.07.-04.08.2019)
„Fridays for Future“ (FFF) hat in den letzten Monaten Deutschland und in vielen Belangen auch Europa so geprägt, wie nur wenige soziale Bewegungen vor ihr. Niemand kommt mehr am Thema Klimawandel vorbei, seien es die Gewerkschaften, Angela Merkel oder Ursula von der Leyen, die bei ihrer Antrittsrede zur Kommissionspräsidentin für die Stimmen der Grünen und einen europäischen „Green Deal“ warb. Seit mehr als neun Monaten streiken Schüler_innen in ganz Deutschland freitags für das Klima und ihre Zukunft; in Dortmund kamen von letztem Donnerstag bis zum Sonntag über 1.600 Teilnehmer_innen aus mehr als 200 verschiedenen Ortsgruppen zum ersten „Fridays for Future“ Sommerkongress zusammen. Ziel des Kongresses war es, in erster Linie zu Netzwerken, zu diskutieren, sich gemeinsam in verschiedenen Workshops weiterzubilden und zu überlegen, wie es mit FFF nach den Sommerferien weitergeht. Es war das erste Treffen dieser Art.
Es ist Samstagmorgen, kurz nach acht, im Dortmunder Revierpark Wischlingen. Die Yoga-Gruppe hat gerade ihre Morgeneinheit beendet und die Münchener Volxküche hat bereits ihre Pforten zum gemeinsamen Frühstück geöffnet. Über 1.600 junge Menschen aus ganz Deutschland, zum Teil aber auch aus Italien und der Schweiz haben hier bereits seit Mittwoch ihre Zelte aufgeschlagen. Es ist der erste Sommerkongress, neben Demos – wie der internationalen Großdemo in Aachen am 21.06.2019, zu der damals über 20.000 Menschen kamen – das erste richtige Vernetzungstreffen der Bewegung überhaupt. Für jemanden, der ein bisschen Erfahrung mit politischen Camps und Kongressen hat, eröffnet sich an diesem Samstagmorgen ein ungewöhnliches Bild. So früh am Morgen ist normalerweise kaum jemand anzutreffen, stattdessen ist man mit den unschönen Überbleibseln des Vorabends konfrontiert: leere Bierflaschen, Zigarettenstummel, ein paar Leute, die sich eben erst auf den Weg ins Zelt machen. Den paar Menschen, die überhaupt noch oder wieder wach sind, sieht man die kurze Nacht, sofern sie überhaupt stattgefunden hat, an. Nicht so bei „Fridays for Future“.
Fürs Leben lernen, nicht für die Schule
Die Teilnehmer_innen wirken frisch. Überhaupt sind viele schon auf den Beinen. Überraschend: Die meisten scheinen das Angebot, früh um acht gemeinsam Yoga zu machen, anzunehmen. Selbst die starken Regenschauer des Vorabends sind scheinbar spurlos an den Kongressteilnehmer_innen vorbeigegangen. Die Stimmung ist euphorisiert, viele erzählen sich beim gemeinsamen – natürlich veganen – Frühstück von den Erlebnissen des Vortags. Von der gemeinsamen Demonstration vor der RWE-Zentrale, von Menschen aus anderen Ortsgruppen, die sie bereits getroffen haben oder noch treffen wollen und von den Workshops, die sie heute noch besuchen werden. Es wird viel geredet und diskutiert, kein Wunder bei einer sozialen Bewegung, die sich bisher vor allem aus gemeinsamen Chatgruppen auf WhatsApp kennt und organisiert. Kurz nach neun begeben sich die meisten Jugendlichen, teilweise noch mit der Frühstücksstulle in der Hand, zu einer der zwei benachbarten Schulen, in denen die mehr als 100 Workshops stattfinden. Workshops, die eigentlich immer bis unter die Decke voll sind. Von so einer Motivation und Energie für die Sache können viele Lehrer_innen der Jugendlichen innerhalb der Schulzeit wohl nur träumen.
Diskutiert wurde auch über bewegungstrategische Ansätze, wie hier auf dem Panel „Soziale Bewegungen – So können wir erfolgreich sein“. (Fridays for Future Sommerkongress, 31.07.2019-04.08.2019.)
Gelebter Klimaschutz und hoher Besuch im Revierpark
Und der Revierpark? Selbst der ist sauber. Kippenstummel? Müll? Bierflaschen? Fehlanzeige. Wer vermutet, den Kids ginge es nur um Schule schwänzen und Party machen, der wird bitter enttäuscht. Party gemacht wurde natürlich trotzdem, das aber zum inoffiziellen Hit des Sommerkongresses, der beliebten Demoparole: „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle!“ Es ist beinahe schon beängstigend, wie hier jeder bei der Sache ist. Wie gut alles funktioniert. Gerade, wenn man bedenkt, dass Jakob Blasel und sein Team das ganze Programm mit über 100 Workshops, Panels und vor allem auch die Infrastruktur in weniger als drei Monaten auf die Beine gestellt haben. Unterstützt wurden sie dabei unter anderem von der Stadt Dortmund, die den Ökostrom für den Kongress bereitstellte. Auch an prominenten Unterstützer_innen mangelte es nicht, so eröffnete TV-Moderator Joko Winterscheidt das Programm am Freitag – der dabei auch gleich einmal zum Klimastreik „für alle“ am 20. September 2019 aufrief. Im Anschluss richtete sich Mediziner und Kabarettist Eckart von Hirschhausen an die Jugendlichen. Das Highlight für viele der Teilnehmer_innen bildete am Sonntag jedoch die Lesung von Kabarettist Marc-Uwe Kling, dem Erfinder des „Kängurus“ und seiner Chroniken, Manifeste, Offenbarungen und jüngst auch Apokryphen. Selbst Christoph Schmidt, seines Zeichens profilierter Wirtschaftswissenschaftler und Chef der Wirtschaftsweisen in Deutschland, nahm sich die Zeit, um mit den Jugendlichen über eine europaweite CO2-Steuer zu diskutieren. Auch er hatte nur Lob für die Bewegung übrig – Lob, das nicht bei allen Teilnehmer_innen unbedingt gut ankam.
Nur eine Person fehlte: Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin war die einzige Politikerin, die persönlich und offiziell von den Organisator_innen bei einem Treffen im Bundeskanzleramt eingeladen worden war. Laut Jakob Blasel fiel Angela Merkels Absage sehr freundlich aus. Die Kanzlerin gab an, dass sie verhindert sei, da sie in diesem Zeitraum traditionell ihren Sommerurlaub verbringe. Wie Tadzio Müller, Referent für soziale Bewegungen bei der Rosa Luxemburg Stiftung, es an andere Stelle ausdrückte: „Ihr seid gerade der heiße scheiß!“ Es sind nicht mehr die Schüler_innen, die auf die Politik zugehen müssen, sondern es ist die ‚große‘ Politik, die auf die Jugendlichen zugeht und zugehen muss. Eines von vielen Beispielen, das verdeutlicht, wie „Fridays for Future“ den Diskurs in Deutschland bereits verändert hat.
Die „Infrastruktur“, wie hier der zentrale Kiosk und die „Chill-Out“ Area, fügten sich scheinbar makellos in die wunderschöne Szenerie des Revierparks ein. (Fridays for Future Sommerkongress, 31.07.2019-04.08.2019.)
„Es ist wahnsinnig inspirierend zu sehen, wie viele junge Menschen hier sind. Teilweise zehn und jünger.“, sagt eine der Organisatorinnen des Kongresses. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer_innen waren noch minderjährig. Auch das ‚_innen‘ steht hier nicht zum Spaß, denn mehr als 58% der Teilnehmer sind weiblich. Es ist eine sehr angenehme Atmosphäre. Jeder hier scheint voll dabei zu sein – und für dieselbe Sache zu brennen. Eigentlich ist die Message von „Fridays for Future“ sehr klar. Sie lässt sich aus der beliebten Demoparole: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ ableiten. Die meisten sind hier, weil sie wütend sind, wütend, da trotz wissenschaftlicher Befunde zum Klimawandel, die zum Teil bereits schon seit über 30 Jahren vorliegen, die Politik zu wenig bis nichts unternimmt, um den menschgemachten Klimawandel aufzuhalten. Die Wissenschaft haben die Jugendlichen sowieso auf ihrer Seite, wie bereits bei der Auftaktveranstaltung des Kongresses deutlich wird. Neben Joko Winterscheidt und Eckart von Hirschhausen ist dort Karen Wiltshire vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung live aus Sylt zugeschaltet. Sie erklärt, sie habe 30 Jahre geforscht und jahrelang habe ihr niemand zugehört – bis „Fridays for Future“ entstand und damit auch ihrem wissenschaftlichen Schaffen eine Zukunft gab. „Das macht ihr toll“, sagt Wiltshire.
Es ist zutiefst beeindruckend, wie vertraut die Teilnehmer_innen mit dem aktuellen Stand der Klimaforschung sind. Selbst noch nicht volljährige Besucher_innen des Kongresses können genau erklären, wie sich die Temperatur in Europa verändert, wenn die Politik nicht handelt, während an anderer Stelle äußerst fundiert über das Pro und Contra von Postwachstumsgesellschaften und wirtschaftlichem „Degrowth“ debattiert wird. Und nein, wir sind hier nicht in einem Masterseminar der Wirtschaftswissenschaften. Sondern bei einem Kongress, an dem die Jugendlichen freiwillig und in ihrer Freizeit teilnehmen.
Die Panels, wie hier über das Thema „Postwachstum vs. Green Growth“, der bunte Abend am Freitag und die anschließenden Parties fanden dabei in der Eishalle Wischlingen statt. (Fridays for Future Sommerkongress, 31.07.2019-04.08.2019.)
Praktischerweise wurden alle Panels und Debatten vom Team der Gruppe Bikablo aus Köln festgehalten. In einem Workshop über „Gedankenskizzen im Dialog“ am Samstag konnten die Teilnehmer_innen selbst lernen, wie man Ideenskizzen mit der richtigen Technik am besten festhalten kann. (Fridays for Future Sommerkongress, 31.07.2019-04.08.2019.)
Marktkern Klimaschutz oder doch das gute Leben für alle?
Auch in den unzähligen Workshops geht es ordentlich zur Sache. Neben eher praxisorientierten Angeboten, wie Workshops zum Thema „Wie schreibe ich eine politische Rede?“, „Solarenergie für meine Schule“ und „Kreative politische Aktionen“, ging es auch inhaltlich ans Eingemachte. So diskutierte der renommierte Politologe Dr. Ulrich Brand mit den Teilnehmer_innen über globale Ansätze, die weg von der „imperialen Lebensweise“ westlicher Gesellschaften hin zu einer ressourcenschonenden solidarischen Lebensweise führen könnten, während Stefan Poll von der Uni Bonn in einem Workshop über die physikalischen Grundlagen des Klimawandels aufklärte.
Neben den Workshops gab es mit festen Expert_innen-Panels auch reichlich Raum zur Diskussion. Am besten besucht war dabei wahrscheinlich die Diskussionsrunde über eine europaweite CO2-Steuer mit Christoph Schmidt, dem Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen, und Christoph Schmitz von der Gewerkschaft ver.di, der vor allem die zwingende Sozialverträglichkeit einer solchen Steuer hervorhob. Auch die Gewerkschaften scheinen das Thema Klimaschutz und „Fridays for Future“ als politische Kraft für sich zu entdecken. Dafür spricht auch, dass wenige Tage nach dem Kongress ver.di-Chef Frank Bsirske die Mitglieder seiner Gewerkschaft zur Teilnahme am dritten internationalen Klimastreik der „Fridays for Future“ Bewegung am 20. September 2019 aufrief. Zwar nicht zum direkten Streik, denn dort sei die Rechtslage ungewiss, aber zum „Ausstempeln und Mitmachen“. Ein gutes Vorzeichen für die Schüler_innen, denn langfristig sind wohl auch sie auf die breite Gesellschaft angewiesen. Der 20. September könnte dabei ein erster Testfall dafür sein, wie sehr das Thema Klimaschutz und die Klimakrise in der breiten Gesellschaft angekommen ist. Dieser Schritt sei zwingend nötig, wie Tadzio Müller es auf einem anderen Panel zum Erfolg und Misserfolg sozialer Bewegungen auf den Punkt brachte: „Soziale Bewegungen gewinnen dann, wenn sie zeigen können, dass sie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben zum Erliegen bringen können.“ Ob das bereits am 20. September gelingt, sei einmal dahingestellt. Die Jugendlichen von „Fridays for Future“ bleiben jedenfalls optimistisch, das unmögliche möglich zu machen. Das haben sie auf dem Sommerkongress eindrücklich unter Beweis gestellt. Und vielleicht ist es ja auch genau dieses Prinzip Hoffnung, das diese Bewegung so erfolgreich macht?
Auch unsere Flyer und das Thema Europa durften natürlich auf dem Sommerkongress nicht fehlen, denn die Klimakrise macht ja auch nicht an nationalen Grenzen halt. Fridays for Future hat das auch erkannt, weswegen eine Woche später in Lausanne in der Schweiz ein großes Vernetzungstreffen der Europäischen Fridays for Future Bewegung stattfindet. Dann auch mit Greta Thunberg, die für den Sommerkongress leider verhindert war. (Fridays for Future Sommerkongress, 31.07.2019-04.08.2019.)
Die Räume, in denen die Workshops stattfanden, waren ironischerweise nach notorischen Klimasünder_innen, wie etwa der Lufthansa oder dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, benannt. (Fridays for Future Sommerkongress, 31.07.2019-04.08.2019.)
Text von: Lorenz Blumenthaler, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Bild: © Lorenz Blumenthaler, Auslandsgesellschaft.de e.V.