Junges Netzwerktreffen für Europa - Das Europe Direct Informationszentrum Dortmund bei den JEF (04.-05.12.2015)

Junges Netzwerktreffen für Europa – Das Europe Direct Informationszentrum Dortmund bei den JEF (04.-05.12.2015)

Über 30 europapolitisch engagierte Jugendliche aus NRW trafen sich am 4. und 5. Dezember 2015 in Bonn zum Netzwerktreffen „Junges Netzwerk für Europa“. Die Vertreter_innen von Jugendorganisationen und –parteien tauschten sich rege zur Flüchtlingspolitik der EU aus. Methodisch vermittelt wurden die Inhalte neben Vorträgen mit Diskussionen in einem World-Café sowie einem Planspiel. Die JEF NRW organisiert gemeinsam mit der Vertretung der Europäischen Kommission Bonn und der Staatskanzlei des Landes NRW diese halbjährlichen Treffen.

 

Vorstellung des Flüchtlingsrats NRW
Das Netzwerktreffen wurde am Freitagabend mit einem Vortrag von Ingo Pickel eingeleitet, der als Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats NRW dessen Aufgabenbereiche und Arbeitsfelder aufzeigte. Der Flüchtlingsrat ist eine unabhängige, überparteiliche und -konfessionelle Menschenrechtsorganisation, die die politischen Interessen von Geflüchteten vertritt. So betreibt er vor allem Vernetzungs-, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Herr Pickel berichtete, dass infolge der zunehmenden Flüchtlingsbewegung ein deutlicher Anstieg an Organisationsbedarf bemerkt worden sei. Während das Thema in den letzten zwei Jahren aufgrund der sehr niedrigen Anzahl an Geflüchteten in Deutschland kaum Beachtung fand, habe sich das Blatt mittlerweile gewendet: Der Rat habe einen hohen Zulauf an Helfer_innen erfahren und eine Vielzahl von neuen Projekten ins Leben gerufen.

Flüchtlings- und Asylpolitik in der EU – Ein Überblick
Der zweite Tag des Netzwerktreffens begann mit einem Impulsvortrag Josef Neumanns, Mitglied des Landtags NRW und Mitglied des Ausschusses für Europa und Eine Welt. Der Politiker hat einen persönlichen Migrationshintergrund: In den 1970er Jahren war er als Kind mit seiner Familie von Polen nach Deutschland gekommen. Aufgrund dieser Erfahrungen engagiert er sich für die Integration und Inklusion aller Menschen in das gesellschaftliche Leben.

Laut Herrn Neumann sei deutlich zu erkennen, dass Europa etwa alle 10 Jahre große Zuwanderungswellen erreichen, dennoch seien weder Deutschland noch die EU wirklich darauf eingestellt. Zwar habe Deutschland in Sachen Integrationspolitik dazu gelernt, hinsichtlich der Strukturen (Unterbringung und Versorgung der Zuwanderer) sei man jedoch nicht vorbereitet. Auf die Frage, ob es eine europäische Integrations- und Flüchtlingspolitik gebe, müsse er mit einem klaren „Nein“ antworten, so Herr Neumann. Da Migration nach wie vor unter die nationalstaatlichen Kompetenzen falle, tauche die Flüchtlingsfrage auf europäischer Ebene in den letzten Jahren nur unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit bzw. Grenzsicherung auf. Die Frage nach einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik befinde sich demnach erst seit kurzem auf der Agenda.

Weiterhin gab Herr Neumann zu bedenken, dass die momentane Situation bzw. die innereuropäischen Konflikte hinsichtlich der Flüchtlingsbewegung immer zwei Seiten einer Medaille aufweisen: Obwohl beispielsweise die Regierung in Ungarn und die Grenzschließung im Vereinigten Königreich und Dänemark von den übrigen europäischen Staatschefs wiederholt kritisiert wurden, seien diese Aktionen nach europäischem Recht legitim. Ebenso sei es indiskutabel, dass die Anschläge in Paris eine schlimme Tragödie sind. Herr Neumann verwies jedoch darauf, dass in Syrien und im Irak seit Jahren täglich hunderte von Menschen durch Anschläge ums Leben kommen. Des Weiteren ging der Politiker auf die Problematik der sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus dem Kosovo, Montenegro usw. ein. Die Haupthandelspartner dieser Balkanstaaten seien lange Zeit Griechenland und Italien gewesen. Durch die strenge europäische Sparpolitik infolge der Wirtschaftskrise habe sich der Handel jedoch verringert. Daher sei es kaum verwunderlich, dass Menschen vom Balkan nun in anderen europäischen Ländern Arbeit suchen.

Abschließend hielt  Herr Neumann fest, dass es zur Bearbeitung der aktuellen Probleme weder eine einzige Lösung, noch einen einzigen Weg gebe. Jedoch müsse es ein gemeinsames Ziel geben, wenn Europa als Gemeinschaft auch in Zukunft Bestand haben solle. Dies gestalte sich jedoch schwierig, da man unterschiedliche Vorstellungen davon habe, was diese gemeinsamen europäischen Werte ausmachen. Als gemeinsames Ziel Europas wünsche er selbst sich die Durchsetzung der Menschenrechte.

Diskussionen im World-Café
Im Anschluss an den Vortrag von Herrn Neumann informierten fünf Expert_innen in Form eines „World-Cafés“ über unterschiedliche Themenschwerpunkte der Flüchtlingspolitk. In kleinen Gruppen konnten die Teilnehmer_innen und den Expert_innen jeweils 20 Minuten lang Fragen stellen und miteinander diskutieren.

  1. „Migrationskontrolle vs. Abschottung – Die Rolle der europäischen Grenzagentur Frontex“
    Eine Station des World Cafés bildete das Thema „Migrationskontrolle vs. Abschottung – Die Rolle der europäischen Grenzagentur Frontex“ unter der Leitung von Dr. Sigrid Fretlöh (Team Europe). Die Hauptaufgabe von Frontex umfasse die Registrierung der ankommenden Geflüchteten. Zudem biete die Agentur Schulungen für nationale Grenzschutzbehörden und die Möglichkeit des punktuellen Einsatzes sogenannter RABITs (Rapid Border Intervention Teams). Da die Grenzsicherung weiterhin unter die Kompetenzen der Nationalstaaten fällt, befinde sich die Weisungsbefugnis zwischen nationalen Grenzbehörden und Frontex in einer Grauzone. Frau Fretlöh hielt fest, dass die Grenzagentur erst infolge der expliziten Anforderung durch den einzelnen Nationalstaat einen aktiven Einsatz in diesem Land einleiten könne. Frontex arbeite in diesem Fall vor Ort mit den nationalen Behörden zusammen.
    Aufgrund der anhaltenden öffentlichen Kritik an Frontex seien in den letzten Monaten die Rechte der Geflüchteten in den Vordergrund der Frontex-Aktionen gerückt und es wurde verstärkt Öffentlichkeitsarbeit geleistet.
  2. „Durchführung von Asylverfahren, Flüchtlingsschutz und Integration – die Aufgaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge“.
    An einer weiteren Etappe erläuterte Bernhard von Grünberg (Mitglied des Landtags NRW, SPD) das Thema „Durchführung von Asylverfahren, Flüchtlingsschutz und Integration – die Aufgaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge“.
    Herr von Grünberg hielt fest, dass die Asylverfahren Aufgabe der Kommunen seien. Obwohl momentan ein hoher Bedarf an Entscheider_innen bestehe, finden sich jedoch nur schwierig geeignete Personen für diese Stellen. Die Behörden müssten dafür Sorge tragen, dass die Zuständigen über die Herkunftsländer der Menschen mit Asylantrag gut informiert sind, um entsprechende Entscheidungen fällen zu können.
    Eine Vereinfachung des Asylverfahrens, um dem Problem des Antragsstaus entgegenzuwirken, sei nicht einfach möglich, da die deutsche Verfassung zur Einzelfallprüfung verpflichte. Außerdem könne mit einer Vereinfachung die Qualifikation der Entscheidungen bedroht werden.
    Ein wichtiger Ansatzpunkt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sei mittlerweile auch die bessere Integration der Geflüchteten. Hierzu seien vor allem mehr Sprachkurse nötig. Mittlerweile biete das BAMF auch professionelle Integrationskurse an. Hinsichtlich der Integration der Geflüchteten über Arbeit bemerkte Herr von Grünberg, dass man seit November 2014 zwar nur noch drei Monate nach Ankunft für den Arbeitsmarkt gesperrt sei, jedoch entfalle die Vorrangprüfung (in Berufen mit einem höheren Anteil an Arbeitssuchenden als Stellen haben deutsche Bürger_innen Vorrang) erst nach 15 Monaten.
    In den Fokus der Kritik geriet außerdem die Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland in den letzten Jahren. Dieser werde nun dringend benötigt und werde über kurz oder lang eine starke Wiederbelebung finden. Somit stellten die Geflüchteten eine Chance für diesen Bereich dar.
  3. „Integration von Flüchtlingen – Herausforderungen und Chancen der Flüchtlingsarbeit vor Ort“
    Eine weitere Diskussionseinheit betreuten Luise Kiatipis (IN VIA Köln, Stabstelle Migration und Integration) und Nicolas Geoffroy-Müller (Flüchtlingsheim Phoenixhaus in Dortmund-Hörde). Sie informierten zu der Problemstellung „Integration von Flüchtlingen – Herausforderungen und Chancen der Flüchtlingsarbeit vor Ort“.
    Frau Kiatipis berichtete, dass das Netzwerk IN VIA in ganz Deutschland aktiv sei. In Köln bestehe es aus einem Team von fünf Hauptamtlichen und ca. 20 bis 25 Ehrenamtlichen, die von rund 500 weiteren Menschen unterstützt würden. Man kümmere sich vor allem um die Sprachförderung und die Erstorientierung der Migrant_innen.
    Herr Geoffroy-Müller erzählte von seinen eigenen Erfahrungen als ehrenamtlicher Deutschlehrer für Geflüchtete, und wie man sich selbst engagieren kann. Er betonte, dass von Beginn an viel Eigeninitiative gefordert sei: Die Einrichtungen und Wohnheime für Geflüchtete würden so viele Angebote von Ehrenamtlichen erhalten, dass sie dem Verwaltungsaufwand, die Daten aller Helfer_innen aufzunehmen und ihnen ihren Fähigkeiten und Wünschen entsprechende Aufgaben zuzuteilen, kaum nachkommen könnten. Davon solle man sich jedoch nicht abschrecken lassen, denn es werde dennoch jede helfende Hand gebraucht. Man solle immer wieder telefonisch oder persönlich nachfragen, ob aktuell gerade jemand benötigt werde. Herr Geoffroy-Müller hob außerdem hervor, dass man auch helfen könne, wenn man kein_e ausgebildete_r Lehrer_in, Pädagog_in oder Sozialarbeiter_in sei. Wichtig sei vor allem, den Geflüchteten das Gefühl zu vermitteln, dass man für sie da ist. Weitere fachliche Kompetenzen erlange man über learning by doing.
  4. „Verteilungsschlüssel, Hot Spots und Zäune – Umstrittene Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise“
    Serap Güler (Mitglied des Landtags NRW, CDU) lenkte die Station „Verteilungsschlüssel, Hot Spots und Zäune – Umstrittene Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise“. Die Politikerin diskutierte mit den Jugendlichen die Überlegungen der Europäischen Kommission, einen Schlüssel zur Verteilung der Geflüchteten auf die europäischen Länder zu implementieren, der sich an dem deutschen Königsteiner Schlüssel orientiert. Dieser bestimmt die Zuordnung von Geflüchteten auf die einzelnen Bundesländer Deutschlands seit den 1950er Jahren und geht aus dem Finanzverteilungssystem unter den Ländern hervor: Er orientiert sich dabei an den Steuereinnahmen (2/3 Anteil bei der Bewertung) sowie der Bevölkerungsanzahl (1/3 Anteil). Während zehn EU-Staaten, u.a. Deutschland, Österreich, Schweden, Griechenland und Italien, für die Festlegung eines solchen Schlüssels in der EU seien, träfe er jedoch auf starken Widerstand von Seiten Großbritanniens und einiger osteuropäischer Länder. Ein solcher Schlüssel würde zur Folge haben, dass Deutschland die meisten Menschen aufnimmt, gefolgt von Frankreich und Spanien, während Malta das Schlusslicht bildet. Würde Europa heute schon einem solchen Verteilungssystem folgen, so Frau Güler, hätte dies für September 2015 beispielsweise bedeutet, dass ganz Deutschland ca. 31.500 Menschen aufgenommen hätte – allein NRW hat in diesem Monat tatsächlich jedoch mehr Menschen Schutz geboten.
    Eine weitere Maßnahme zur Steuerung der zunehmenden Flüchtlingsbewegung stellen die sog. Hot Spots dar. Sie werden an den Außengrenzen der EU errichtet, um vorab zu prüfen, ob die ankommenden Menschen asylberechtigt sind. Die EU hat bereits beschlossen, auf den griechischen Inseln Lesbos, Kos und Leros drei dieser Zentren einzurichten. Diese hätten im November 2015 ihre Arbeit aufnehmen sollen, ihr Beginn verzögerte sich jedoch. Zwar würde mit den Hot Spots die Verteilung der Menschen gesteuert und die Zahl der Rücksendungen reduziert, jedoch stellte Frau Güler die Frage, wie man die Geflüchteten von einer freiwilligen Registrierung in den Hot Spots überzeugen könne.
    Abschließend diskutierte die Politikerin mit den Jugendlichen über Zäune an den europäischen Grenzen und hier allen voran Ungarn, das 2015 mit dem Bau eines 175 km langen und 200 m hohen Stacheldrahtzauns an der serbischen Grenze begann. Diese Maßnahme Orbáns bewege sich zwar in einem rechtlichen Rahmen, die Jugendlichen fragten sich jedoch, ob die Entscheidung auch aus humanitärer Sicht vertretbar sei.
  5. „Pegida, Front National und Schwedendemokraten gegen Flüchtlinge – Erstarken von rechtspopulistischen Strömungen“
    Janna Wessels (Netzwerk Flüchtlingsforschung) setzte sich mit dem schwierigen Thema „Pegida, Front National und Schwedendemokraten gegen Flüchtlinge – Erstarken von rechtspopulistischen Strömungen“ auseinander.
    Einleitend ordnete Frau Wessels diese rechtspopulistischen Bewegungen als ein demokratisches Pendant zum Rechtsextremismus ein. Sie verstünden sich als Politik für das Volk und vermittelten vorrangig eine nationalistische sowie antieuropäische Denkweise. Mit dem Gegensatz Einheimische-Zuwanderer, der bspw. von Pegida kontinuierlich betont würde, versuche man, die Problematiken, die infolge von Reich-Arm-Gegensätzen in Deutschland bestünden, zu übertünchen. Frau Wessels diskutierte in diesem Zusammenhang mit den Jugendlichen ausführlich darüber, was den Erfolg dieser Strömungen ausmache, d.h. auf welche Argumente sie sich stützen.

Planspiel: Europäische Flüchtlingspolitik neu gestalten
Auf Grundlage der vorangegangenen Inputs führten die YEPs zum Abschluss des Netzwerktreffens ein Planspiel durch. Hier konnte das bisher erworbene Wissen praktisch angewandt werden. Die Teilnehmenden sollten sich in die Rolle der Staatschefs des Europäischen Rates hineinversetzen, um im Rahmen einer fiktiven Konferenz die Schwierigkeit einer Konsensfindung nachvollziehen zu können. Angesichts der zunehmenden illegalen Migrationsbewegungen aus Afrika nach Europa riefen die EU-Mittelmeerstaaten in dem Szenario der YEPs zu einer Konferenz der EU-Länder mit Vertretern aus Nord- und Mittelafrika ein. Als Beobachter_innen sowie Berater_innen nahmen Frontex und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International teil. Am Ende sollten Maßnahmen zur Entschärfung der Situation vorliegen. Die hitzigen Debatten wurden unterbrochen von Demonstrationsbewegungen durch Unterstützer_innen von Amnesty International sowie beeinflusst von fiktiven Geschehnissen, die zum Zeitpunkt der Konferenz geschahen (Push-Back-Aktion von Frontex auf dem Mittelmeer mit Todesopfern oder Sprengung von Ölindustrien in Afrika). Es wurde deutlich, wie schwierig sich die Erreichung eines alle zufrieden stellenden Abkommens gestaltete.

Netzwerken in NRW für Europa
Verschiedene europapolitisch engagierte Jugendorganisationen und Jugendparteien nahmen am Netzwerktreffen teil und stellten teils auch ihre Organisation und eigene Projekte vor. Mit dabei waren:  AStA Uni Bonn, Europe Direct Dortmund, Grüne Jugend NRW, JEF Aachen, JEF Münster, JEF Ruhrgebiet, Junge Union Bonn, Junge Union Rhein-Erft, Steffen D. Meyer, Verein zur Förderung politischen Handelns e.V., Visionen für Europa sowie Young European Professionals (YEP).

Text: Lena Borgstedt/Johanna Simon, Auslandsgesellschaft NRW e.V.
Foto: © Steffen Meyer, JEF NRW