Rechtpopulismus und Klimapolitik in Europa (09.09.2019)
Es gibt zwei politische Themen, die gerade überall in Europa omnipräsent scheinen: Das eine ist die Klimapolitik, die dank Fridays for Future nicht mehr wegzudenken ist, und wie der Name der sozialen Bewegung bereits verrät, sich an der Zukunft orientiert. Das andere ist der Rechtspopulismus, der spätestens seit der Europawahl 2019 auch die EU-Politik erreicht hat und der mit den verschiedensten Forderungen nach mehr Abschottung eher an der Vergangenheit orientiert zu sein scheint. Auch wenn die Europawahl auf den ersten Blick konterintuitiv wirkt, gibt es genug Gründe, beide Themen in Beziehung zu setzen, um zu analysieren, wie rechtspopulistische Parteien über das Thema Klimaschutz denken und kommunizieren. Diese Aufgabe übernahm am Montag, den 09.09.2019, Stella Schaller von der Berliner Denkfabrik adelphi. adelphi hatte Anfang des Jahres unter dem Titel „Convenient truths: Mapping climate agendas of right-wing populist parties in Europe“ eine erste umfassende Studie über die klimapolitischen Ziele aller rechtspopulistischen Parteien in Europa vorgelegt.
Am vollen Veranstaltungssaal des Dortmunder Rathauses war schnell abzulesen, dass das Thema des Vortrags „Rechtspopulismus und Klimapolitik in Europa“ sehr gut in den aktuellen Zeitgeist und die Interessenlage der Dortmunder*innen passte. Zu Beginn der Veranstaltung gab die Referierende Stella Schaller mögliche Begriffsdefinitionen von (Rechts-)Populismus. Wie bei der Auftaktveranstaltung der Europa-Projektwochen am 05.09.2019 (mehr dazu hier) zog sich die Frage, was Rechtspopulismus überhaupt bezeichnet und bezeichnen kann, durch den Abend.
Stella Schaller erklärte, für viele sei Populismus ein Kampfbegriff, eine Art Totschlag-Argument, um politische Gegner*innen zu delegitimieren. Andere wiederrum sehen im Begriff eine Verharmlosung, da es sich bei der AfD beispielsweise um eine völkisch-nationalistische Partei handle und dieser Umstand auch klar benannt werden sollte. Kurz ging die Referentin auch auf den Vorschlag der Bielefelder Soziologie-Koryphäe Wilhelm Heitmeyer ein, der jüngst in einem Artikel für den Spiegel forderte, dass das, was die AfD verkörpere, als „autoritärer Nationalradikalismus“ zu bezeichnen sei. Ob sich der Begriff durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass es sich beim Rechtspopulismus anders als bei rechten Bewegungen in den 1920ern, 1930ern und auch den 1990ern um keine feststehenden Ideologien handelt. Schaller brachte deshalb auch die Beschreibung von Rechtspopulismus als „dünne Ideologie“ ins Spiel. Eine Bezeichnung, die nach Ende des Vortags durchaus einleuchtete. Parteien wie die AfD hätten keine klare ideologische Vorstellung, sondern bespielten vielmehr unterschiedlichste Themen auf ähnliche Art und Weise. Rechtspopulismus als Kommunikationsstrategie der Übersteigerung, Skandalisierung und des bewussten Tabubruchs also. Überhaupt schwebe die AfD subtil über allem, doch gerade auf europäischer Ebene gebe es noch viel mehr Parteien mit größerem politischen Einfluss, über die man sich sorgen sollte, so Schaller.
Weg von der Theorie hin zur Empirie: Rechtspopulistische Parteien sind mittlerweile in 23 von 28 europäischen Parlamenten vertreten, sie sind an acht Regierungskonstellationen beteiligt und in Ungarn und Polen stellen sie sogar die Regierung. Des Weiteren sind die rechtspopulistischen Parteien, die nach der Europawahl nun 22,8 Prozent der Sitze im Europaparlament innehaben, sehr gut vernetzt. Schaller mahnt: „Das Phänomen Rechtspopulismus wird Europa und die Welt in Zukunft noch weiter beschäftigen.“ Dies war auch einer der Gründe, sich erstmals empirisch damit zu beschäftigen, wie Rechtspopulist*innen den Klimawandel sehen – wie sie in Pressemitteilungen, Parteiprogrammen und Reden darüber kommunizieren. Der andere Grund für die Erstellung der Studie war, dass der Klimawandel mittlerweile laut Umfragen das wichtigste Thema für Menschen in Deutschland darstelle, so Schaller. 2017 sah das noch ganz anders aus, denn damals belegte der Klimawandel in verschiedenen Umfragen nur Platz acht. Auch im Saal spiegelte sich diese Interessenslage wieder. Bei einer kurzen Umfrage sprachen sich mehr als dreiviertel der Teilnehmenden dafür aus, dass Klimapolitik für sie zurzeit das wichtigste politische Thema sei. Dass viele Schüler*innen seit März im Rahmen von Fridays for Future jeden Freitag in Dortmund für ihre politischen Ziele streiken, hat also doch auch eine ganz konkrete Wirkung, selbst wenn die großen Richtungswechsel in der Politik erstmal noch ausbleiben.
“Die Auseinandersetzung über zukünftige Klimapolitik wird kontroverser und der Diskurs radikaler.“
Die Parteienlandschaft europäischer Rechtspopulist*innen sei auf Basis der von Schaller und ihrem Kollegen Alexander Carius durchgeführten Studie in drei verschiedene Haltungen zum menschgemachten Klimawandel zu differenzieren:
Zunächst lasse sich feststellen, dass die meisten rechtspopulistischen Parteien den Klimawandel komplett leugnen. Das gelte insbesondere für die rechten Parteien in Dänemark (Dansk Folkeparti), Deutschland (Alternative für Deutschland / AfD), Estland (Eesti Konservatiivne Rahvaerakond), Großbritannien (United Kingdom Independence Party / UKIP), den Niederlanden (Partij voor de Vrijheid / PVV), Österreich (Freiheitliche Partei Österreichs) und Schweden (Sverigedemokraterna). Soweit wenig überraschend.
Eine weitere, weit verbreitete Position rechtspopulistischer Parteien sei, zum Klimawandel komplett zu schweigen bzw. sich dem Diskurs darüber zu verweigern. „Es gäbe noch zu wenig sichere Erkenntnisse, man müsse noch abwarten, bevor man sich positionieren könne – Aussagen dieser Art kommen immer wieder vor.“, so Schaller über Marine Le Pen und ihre Partei Rassemblement National (ehemals Front National). Ansonsten sei diese Position vor allem in Tschechien, Polen, der Schweiz und Italien verbreitet.
Überraschenderweise gebe es aber auch Parteien, die in eine dritte Kategorie fallen: Rechtspopulistische Parteien, die den Klimawandel anerkennen und Initiativen zum Klimaschutz – in gewissem Maße – positiv gegenüber stehen. Wobei dieser Befund vielleicht doch nicht so überraschend sei: So galt in den 1990er Jahren in verschiedensten rechten Kreisen immer noch die Maxime „Klimaschutz ist gleich Heimatschutz“. Dennoch staunte das Publikum nicht schlecht, als Schaller berichtete, dass Ungarns Präsident Viktor Orbán von der Fidesz Partei als einer der ersten europäischen Staatschefs das Pariser Klimaabkommen unterschrieb und auch in anderen europäischen Ländern offensiv für eine Verabschiedung des Abkommens warb.
Die Referentin fügte allerdings auch hinzu, dass man sich von dieser Haltung nicht einlullen lassen dürfe, denn viele der Parteien, die in diese Kategorie fielen, nutzten diese Positionierung vor allem für genuin neurechte Diskurse, die für die Bewahrung „des Eigenen“ im Angesicht einer nicht näher definierten „fremden“ Bedrohungslage werben. Dieser Trend sei vor allem auch lokal zu beobachten, wenn etwa Parteien wie die FPÖ oder AfD sich auf lokaler Ebene gegen Windparks oder Stromtrassen einsetzten, da diese die vermeintlich „unberührte Natur“ gefährdeten. Allein von „unberührter Natur“ zu sprechen, erscheine bei einer durch 150 Jahre Industrialisierung geformten Kulturlandschaft mehr als Farce, denn als valides Argument.
Was das politische Framing angehe, seien vier Diskursstrategien bei rechtspopulistischen Parteien besonders ausgeprägt: Zum einen werde effizienterer Klimaschutz mit Verweis auf die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft delegitimiert und abgelehnt. Zum anderen würde auf die vermeintlich negativen Folgen für Verbraucher*innen und Arbeitnehmer*innen verwiesen, wonach Klimaschutz soziale Ungleichheit verschärfe. Als drittes würde, wie oben bereits genannt, auf die Zerstörung einer „unberührten“ Flora und Fauna durch etwa Windparks verwiesen, die für eine effiziente Energiewende unerlässlich sind. Als letzter widersprüchlicher Trumpf der Rechtspopulist*innen würde schließlich die Nutzlosigkeit nationaler Klimapolitik angeführt. Ein Argument, das umso irrationaler wirkt, wenn man sich einmal zu Gemüte führe, dass viele dieser Parteien dem Multilateralismus komplett entsagt haben und politisch für eine Rückkehr in die Nationalstaatlichkeit des 19. Jahrhunderts stehen. Wahrscheinlich werde an dieser Stelle am deutlichsten, warum es sich beim Rechtspopulismus um eine „dünne Ideologie“ handele, denn wenn man sich diese Argumentationsstrategien genauer ansehe, falle auf, dass sie sich im Grunde nur wenig von dem unterscheiden, was zum Thema Migration von diesen Parteien zu vernehmen sei. Bewahrung „des Eigenen“, das Ausspielen verschiedener sozialer Gruppen gegeneinander und die Rückkehr zum Nationalstaat mit geschlossenen Grenzen.
Damit wäre die Frage des Wie geklärt, aber warum lehnen rechtspopulistische Parteien die Klimapolitik so sehr ab? Stella Schaller erklärte es sich so: „Klimapolitik ist ein sehr leichtes Ziel, um rechtspopulistische Narrative mit Inhalt zu füllen.“ Am deutlichsten werde dies anhand der Tatsache, dass sich die drohende Klimakatastrophe nur durch internationale Zusammenarbeit, Solidarität und Multilateralismus lösen lasse. Alles Konzepte, denen rechtspopulistische Parteien diametral gegenüber stehen. Ein weiterer Grund sei aber auch, dass die wissenschaftsbasierte und -gesteuerte Politik „ein rotes Tuch für Rechtspopulist*innen ist“, da sich diese nicht so einfach emotional aufladen und übersteigern ließe.
Zum Ende ihres Vortrags stellte Schaller vier Thesen für die Zukunft der europäischen Klimapolitik auf: „Meiner Meinungen nach müssen wir Klima aus der grünen Ecke holen. Das Thema betrifft viele Bereiche – wird aber immer mit sogenannten Ökos gleichgesetzt. Das schreckt viele ab.“ Gleichzeitig dürfe der gesellschaftliche Dialog darüber, wie diese Klimapolitik auszusehen habe, nicht abreißen. Als drittes müssten Gesellschaft und Politik mehr Radikalität wagen. Eine glaubwürdige Klimapolitik dürfe keiner Verteilung von unten nach oben gleichkommen, sondern vielmehr müssten die Menschen, die das Klima belasten, besonders stark – etwa durch die Besteuerung von klimaschädlichen Produkten – zur Kasse gezogen werden. Es gehe zudem darum, neue glaubwürdige Geschichten der Transformation zu schreiben und zu gestalten, dafür seien auch neue Allianzen für den Klimaschutz und eine nachhaltige Transformation von Nöten. Diese „neuen Allianzen“ zeichneten sich laut Schaller bereits an den gewerkschaftlichen Aufrufen zur Beteiligung an den Fridays for Future Protesten ab.
Mit diesen zukunftsweisenden und erhellenden Punkten beendete die Referentin ihren Vortrag. Damit blieb noch genug Raum zur Diskussion mit den Teilnehmenden, die vor allem darauf verwiesen, dass es beim Klimaschutz nicht unbedingt an den rechtspopulistischen Parteien hapere, sondern auch schon der Blick in die etablierte Parteienlandschaft reiche, um festzustellen, dass in diesem Bereich politisch viel zu wenig passiere. Fest stehe aber auch, dass in diesem Bereich aktuell politische Räume und Möglichkeitsfenster entstehen, die es zu nutzen gelte. So endete die Veranstaltung mit einer hoffnungsvollen Note. Laut Schaller ginge es vor allem darum, der Skepsis und Ablehnung vieler rechtspopulistischer Parteien gegenüber Klimapolitik eigene Akzente und Visionen entgegen zu setzen. „Wir müssen neue Utopien wagen“ und eigene Erzählungen setzen, wie eine gerechte und nachhaltige Welt im Jahr 2050 aussehen soll. Denn gerade diese Radikalität mache den rechtspopulistischen Parteien am meisten Angst – Zukunft gestalten, anstatt in der Vergangenheit zu verharren.
Die Veranstaltung war Teil der Europa-Projektwochen 2019 und wurde vom Europe Direct Dortmund in der Auslandsgesellschaft.de e.V. mit Unterstützung vom DGB Dortmund-Hellweg, der Stadt Dortmund und dem AK gegen Rechtsextremismus organisiert. Wir danken der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen für die freundliche Förderung des Projekts.
Text von: Lorenz Blumenthaler, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft.de e.V.